Technische Artikel
Defizite der synthetischen Klangerzeugung
Eine Reihe von Publikationen befasst sich mit Methoden der synthetischen Klangerzeugung und zeigt Wege auf, mittels mathematischer Formeln den Klang realer Instrumente nachzubilden. Diese als Virtuelle Analoge Modellierung bekannte Methode, die immer stärker in Synthesizern eingesetzt wird, ist jedoch aufwändig, da die reale Klangbildung in Instrumenten äusserst kompliziert ist. Die sich hierbei ergebenden Probleme, sollen am Beispiel von Saiteninstrumenten, speziell der Gitarre und des Klaviers diskutiert werden. Im ersten Ansatz ist es vergleichsweise einfach, eine mathematische Welle zu berechnen, die einer schwingenden Saite gleichkommt.

Allerdings bestehen Gitarren nicht nur aus einfach schwingenden Saiten, vielmehr entsteht ein grosser Anteil des Klangs durch Interaktionen der Saiten untereinander. Diese tauschen untereinander ständig Energie über die Luft und die Aufhängung aus. Die Befestigung der Saiten und deren Verlauf über den Steg und dem Griffbett spielt im Zusammenhang mit dem Resonanzkörper der Gitarre dabei eine wesentliche Rolle. Der Hals bei Gitarren schwingt in Abhängigkeit der Griffhaltung / des Akkordes transversal und tordierend, womit die Saiten gedehnt werden. Dies führt zu Spannungen, die in die Saiten eingprägt werden, wodurch die Saiten ständig in unterschiedlichster Weise in den Schwingungen beeinflusst werden. Im besonderen Mass ist das bei der Dreiklanggruppe des Klaviers der Fall. Alle diese Teilkörper bewegen sich in komplizierter Weise gegeneinander, was im Detail emuliert und berechnet werden muss.

In der Praxis führen diese Effekte zu einer Mischung aus Tonhöhenmodulation ((Vibrato) und Amplitudenveränderung (Tremolo), die einem inneren Zusammenhang folgen. Will man diese ganzen Effekte in Echtzeit durch Gleichungen abbilden, sodass sich die Schwingungen und Modulationen von selbst einstellen, muss man permanent die verschiedenen "Oszillatoren", die im Instrument stecken, berechnen und alles phasenrichtig zusammenziehen. Weiter muss man die Schalllaufzeit in den Materialien berücksichtigen, Reflektionen berechnen und dabei die Dämpfungen und Energieflüsse in die Nachbarregionen ausrechnen. Nur dann entstehen ansatzweise die komplexen Schwebungen und Tonhöhenschwankungen von echten Instrumenten, durch die sich ein realer Klang von synthetischen Pseudo-Sinus-Wellen und einfachen Saiten-DGLs unterscheiden und nur dann sind sie auch realitätsnah. Mittels geeigneter Gleichungen kann man z.B. auch den Wolfston bei Celli und Kontrabässen simulieren.

Wichtig ist ein Verständnis des gesamten Instruments und das Wissen, welche Aspekte den eigentlichen Klang eines Instumentes ausmachen. Das sind nämlich bei unterschiedlichen Instrumenten durchaus nicht immer Dieselben! Bei Gitarren, Harfen und Flügeln ist es neben der schon erwähnten Saiteninteraktion, das Dämpfungsverhalten der Materialien, die einen wesentlichen Klangbeitrag liefert. Diese Instrumente klängen nämlich alle ziemlich gleich, wenn man nur eine DGL lösen müsste und es sind mithin die Modulationen der Wellen, die den jeweils eigentümlichen Klang ausmachen.

Besonders Holzinstrumente sind nicht einfach nachbildbar, da das Dämpfungsverhalten nicht 100% linear ist und und mit herkömmlichen DGLs nicht vollständig zu beschreiben ist. Da braucht es zur Emulation des Klankörpers eine Art "Multibandkompressor mit EQ". In vielen Pbulikationen finden sich allerdings kaum Hinweise auf die realitätsnahe Berücksichtigung der Holzeigenschaften. Selbst die E-Gitarren- Berechnung funktioniert nicht über eine reine Saitenemulation.

Was daneben auch noch benötigt wird, ist die korrekte Umsetzung der Mathematik in einen Ton. Das ist bei genauerer Betrachtung sogar der entscheidende Punkt der quasi-realen Musikerzeugung: Der von einem mehrdimensionalen Schwingungsgleichungssystem zu einer einzigen Welle. An allen Punkten des 3D-Wellengleichungssystems existieren unterschiedliche Töne mit eigenen Amplituden, Phasen und Frequenzen, die sich je nach Abstrahlrichtung überlagern. Alle oszillierenden Bereiche müssen mit ihrer Wirkung an einem ganz bestimmten Abhörpunkt in einiger Entfernung zusammengerechnet werden. Damit entsteht eine Art Klangsumme am Ort des Mikrofons bzw des Ohres. Diese Addition von Wellen führt dann zu wieder einem neuen komplexen Klang samt dynamischer Kammfiltereffekten und sich zeitlich verschiebender Amplituden und klingt komplett anders und vielfältiger, als ein einzelner Wellenpunkt.

Danach hätte man die erste ankommende Welle richtig berechnet und könnte ab da Raumreflexionen erzeugen und hinzurechnen. Bei einem Instrument wie dem Klavier z.B. schwingen die einzelnen Instrumententeile nacheinander gemäss ihrer Anregung auf und die dreidimensionale Klangsumme ist entlang des zeitlichen Verlaufs des Tons hinweg unterschiedlichen Interferenzen unterwerfen. Lässt man diesen wesentlichen Sachverhalt ausser Acht, werden die Gleichungen, so gut sie auch sein mögen, definitiv keinen echten Klang erzeugen!

J.S. Juli 2001

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